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Von Feuerland Richtung Norden (Februar - April 2010)

Ushuaia ist nicht sonderlich schön, aber halt doch irgendwie speziell, sodass es uns noch ein paar Tage hält, nicht zuletzt auch der Erinnerungen an die Antarktis wegen. Schlussendlich vertreibt uns aber das immer schlechter werdende Wetter endgültig vom „Ende der Welt“. Feuerland liegt schnell hinter uns und wir gelangen wieder auf’s Festland auf chilenischer Seite. Dort unternehmen wir einen kurzen Abstecher nach Punta Arenas. Die Stadt mag uns aber nicht sonderlich zu begeistern und so ziehen wir gleichentags weiter gegen Norden zum viel gerühmten Parque National Torres del Paine. Das Wetter ist, wie uns die Rancher sagen, auch hier lange sehr schlecht gewesen. Nun aber klart es zügig auf und wir erleben ein paar so strahlend blaue Tage, wie es sie hier nur selten gibt. Der Park ist seiner herrlich blauen Seen, den verträumten Flussläufen, den beeindruckenden, hoch aufragenden Granitnadeln und nicht zuletzt der üppigen Vegetation wegen tatsächlich echt faszinierend. Bei ausgedehnten Wanderungen können wir jede Menge Guanakos, die sich an die vielen Menschen gewohnt sind und uns bis auf ein paar Meter herankommen lassen und auch einige majestätisch kreisende Kondore beobachten. Der Anblick eines Pumas aber bleibt uns leider auch hier weiterhin verwehrt. 

Die Weiterreise nach Norden führt uns wieder auf die argentinische Seite, wo die nächste Sehenswürdigkeit, der Perito Moreno Gletscher auf uns wartet. Am zweiten Fahrtag allerdings kommen wir nicht weit. Plötzlich blinkt in der Anzeige die Warnung auf „Anhalten, Bremsdruck zu tief“ und bevor ich das Fahrzeug abbremsen kann, wird bereits die automatische Notbremsung ausgelöst. Die beiden blockierten Hinterreifen ziehen tiefe Furchen in den regenaufgeweichten Schotter. Lange muss ich allerdings nicht suchen, bis das Leck, ein durchgescheuerter Bremsschlauch, gefunden ist. Mit Unterstützung eines Einheimischen, der anhält und seine Hilfe anbietet, ist der Defekt schnell behoben, wenn auch nur provisorisch. 

Ausgang zum Gletscher ist der Ort El Calafate, der mit seinen unzähligen Tourenanbietern und Souvenirshops touristischer nicht sein könnte. Das ist aber weiter nicht verwunderlich bei jährlich über 200'000 Besuchern. So reihen auch wir uns am ersten Tag in die Hundertschaften von Touristen ein, die auf den kilometerlangen, eisernen Gehstegen schlendern und versuchen, auf keinen Fall die wenigen Augenblicke zu verpassen, bei denen der Gletscher „kalbt“. So nennt man den Vorgang, bei dem jeweils ein riesiger Eisblock krachend und tosend abbricht und meterhohe Wellen schlagend ins Wasser stürzt. Für den nächsten Tag nehmen wir uns vor, gleich morgens um Acht bei der Öffnung des Parks bereitzustehen, damit wir die spezielle Atmosphäre beim Gletscher einsam und ruhig geniessen können. Das schaffen wir auch tatsächlich und sind für die ersten zwei Stunden mutterseelenallein unterwegs. So können wir das dauernde Knistern und Knacksen und die ab und zu mit Getose stattfindenden Eisabbrüche mit ihrem Nachhall in mystischer Morgenstille geniessen, ohne das unablässige und lästige Geplapper, Gelächter und Gestampfe der vielen Touristen um einen herum. So beeindruckend wie das Szenario vor Ort ist, so imposant sind auch die Zahlen zum Perito Moreno Gletscher. Seine Länge beträgt um die 60 km und die Breite der Gletscherzunge, die in den Lago Argentino mündet,  ca. 5 km. Die Eiswand mit ihrer gewaltigen Höhe von rund 60 Metern schiebt sich pro Tag ungefähr einen Meter vorwärts, was zu den vielen spektakulären Eisabbrüchen führt. 

Die Gegend des südlichen Patagonien geht fast schon verschwenderisch um mit landschaftlicher Schönheit und mit Sehenswürdigkeiten. Nur rund 200 km weiter wartet schon unser nächstes Ziel, der Mount Fitzroy auf uns. Bereits auf dem Weg entlang dem Lago Viedma bewundern wir aus 30 km Entfernung und bei nach wie vor herrlichstem Wetter die fantastische Skyline des 3’405 Meter hoch aufragenden Mount Fitzroy und der vielen benachbarten Granitnadeln. Von El Chalten aus, am Fusse des Fitzroy, unternehmen wir zwei intensive Tageswanderungen zu verschiedenen Aussichtspunkten. Unser Weg führt uns durch eine herrliche Bergwelt mit Steppenwiesen, Mooren, Bächen und Südbuchenwälder. Am Abend sind wir jeweils so nudelfertig, dass wir gar nicht mehr selber kochen mögen, sondern uns verschwitzt und miefig wie wir sind, dafür aber voller schöner Eindrücke, in eines der vielen gemütlichen und originellen Restaurants hocken und uns eine feine Pizza gönnen. 

Nach El Chalten sind es bloss etwa 80 km Asphalt, bevor wir in die Routa 40 einbiegen, wo mehrere hundert Kilometer Naturstrasse folgen. So fahren wir stundenlang durch abgelegene Prärie auf einer eher rauen Schotterpiste, die sich aber bei einem Tempo von 70 bis 80 km/h recht angenehm anfühlt. Alle paar Kilometer werden wir, wenn ich vor einem der vielen etwas erhöhten Kuhroste zu spät abbremse, richtig durchgeschüttelt und heben manchmal sogar fast ab. Die Mädchen haben riesigen Spass, da sich das Aufschaukeln des Fahrzeugs fast ein wenig wie Achterbahnfahren anfühlt. Nur Lucia ist wenig begeistert, wenn wieder mal all die Utensilien auf uns niederprasseln, die in Staufächern über unseren Köpfen lagern, und mahnt zu einer gemächlicheren Gangart. Zur guten Stimmung trägt natürlich auch noch entsprechender Sound bei, den wir wieder einmal in Konzertlautstärke geniessen. Bei Supertramps Megahit „School“ laufen wir richtig in Hochstimmung auf. Normalerweise habe ich immer auch ein wachsames Ohr für unser Fahrzeug. Bei so lautem Sound allerdings geht der akustische Kontakt zum Fahrzeug verloren, was sich prompt rächt. Plötzlich bricht das Heck leicht aus und ein lautes Flattern reisst mich aus der Partystimmung. Der Blick in den rechten Rückspiegel verheisst nichts Gutes – den ganzen Hinterreifen hat es zerfetzt. Ich bringe das Fahrzeug so schnell als möglich zum Stehen und rolle dann vorsichtig ganz an den rechten Pistenrand. Das hat uns gerade noch gefehlt! Es ist bereits ca. 18 Uhr und ich habe noch für etwa drei Stunden Tageslicht. Na ja, zum Übernachten ist der Platz nicht übel. Die Landschaft ist ansprechend, das Terrain eben und die Piste so breit, dass wir für die wenigen passierenden Fahrzeuge kein Hindernis darstellen. Ich schlüpfe in den Overall und mache mich, unterstützt durch unsere Mädels, an die Arbeit. Den komplett zerfransten Pneu von der Felge zu kriegen, macht mir jedoch grosse Mühe. Ich probiere einiges aus und muss tief in die Trickkiste greifen, bis ich es endlich schaffe. Zum Glück sind der Spreng- und auch der Dichtring unbeschädigt geblieben. Es ist bereits stockdunkel und Lucia drängt schon lange aufs Abendessen. So spare ich mir das Aufziehen des Reservepneus für den nächsten Morgen auf. Diese Arbeit ist ja inzwischen fast schon Routine. 

Es sind wahre Bilderbuchlandschaften, die uns anderntags entlang der chilenischen Grenze für die Schufterei entschädigen. In Los Antiguos am Lago Buenos Aires wechseln wir dann wieder nach Chile rüber, um auf der berühmten Careterra Austral, mit der der spärlich besiedelte Süden Chiles erschlossen wird, ein letztes Mal südwärts zu fahren. Die Strasse ist in den 80er Jahren ein Prestigeprojekt Pinochets gewesen und führt auf rund 1'200 km durch unwegsame Bergwelten, üppigen Urwald, unzählige Sümpfe oder Moore und entlang wilder und unglaublich türkisblauer Flüsse und Seen. Der Grossteil ist eine schmale Naturstrasse, was einen Hauch von Abenteuer verspricht. Leider aber ist man daran, weite Teile der Strasse zu verbreitern und zu asphaltieren – aus meiner Sicht eine absolute Schande und Frevel an der Natur. Es ist nur zu hoffen, dass wenigstens die letzten 250 Kilometer von der Asphaltierung verschont bleiben. Diese führen zum südlichsten an der Careterra Austral gelegenen Dorf Villa O’Higgins, dessen fast einzige Daseinsberechtigung die Markierung von Präsenz in einer sehr abgelegenen Region bedeutet. Einer Region, die zu besiedeln sich unter normalen, wirtschaftlichen Aspekten nie lohnen würde. Durch eine bescheidene Militärpräsenz und das durch den Staat subventionierte Leben der hier ansässigen Menschen, lässt man aber gegenüber dem grossen Nachbarn Argentinien keine Zweifel aufkommen am Anspruch auf diesen entlegenen Landstrich. 

Zehn Kilometer vor Villa O’Higgins führt die Schotterstrasse als ca. 1.5 Meter hoher Damm entlang eines sumpfigen Seeufers. In der Mitte der Strasse sind die zwei Spurrillen extrem ausgefahren und wellig, was mich sehr nervt. So fahre ich seitlich etwas versetzt am Strassenbord entlang. Lucia hat daran keine Freude und kaum dass sie ihr Unbehagen kund getan hat, bringt mich eine kleine Unaufmerksamkeit zu nahe an den weichen Rand des Damms, wo nur noch loser Kies liegt und das Fahrzeugs seitlich abrutscht. Ich vermeide es, mit Gegensteuer zu versuchen, wieder auf die feste Fahrbahn zu gelangen, um nicht das Ausbrechen des Hecks zu provozieren und bringe das Fahrzeug in ziemlicher Schräglage zum Stillstand. Ich mahne Lucia zu etwas mehr Gelassenheit, denn mit eingelegtem Allrad und Diffsperren, so denke ich, sollte es ein Klacks sein, hier wieder raus zu kommen. Leider aber folgen physikalische Gesetze, immerhin wiegen wir ganze 13 Tonnen, nicht immer meinem Bauchgefühl und so wird unsere Schräglage beim ersten Versuch, wieder auf die Fahrbahn zu gelangen, nur noch beängstigender. Es hilft nichts, ich muss Schaufel und Wagenheber auspacken. Ich hebe das Vorder- und Hinterrad nacheinander an, um jede Menge Steine, die die Mädchen anschleppen, in den weichen Kies unter die Räder zu packen. Leider gibt aber der Untergrund bei jedem Versuch, frei zu kommen, noch mehr nach und die Situation wird nur unmerklich besser. Zweimal bieten vorbeifahrende Einheimische Hilfe an, indem sie im Dorf einen LKW oder eine Baumaschine zum Rausschleppen organisieren wollen. Ich lehne jeweils dankend ab, da mein Wille und Stolz, es aus eigener Kraft zu schaffen, ungebrochen ist. Nach zwei Stunden intensiver und schweisstreibender Schufterei und langsam einsetzender Dämmerung, in der mich ganze Schwärme von Mücken aufzufressen drohen, bröckelt der Wille zur sportlichen Ertüchtigung und ich habe ein Einsehen. So überlege ich nicht lange, als erneut ein Kleinbus mit ein paar Arbeitern anhält und der Fahrer Hilfe anbietet. Es sind Waldarbeiter und sie haben nur 10 Minuten von hier einen Unimog stehen, den sie kurzerhand herbeiholen. Dieser muss nur mit allen Vieren einmal kurz scharren und schon stehen wir, am Stahlseil hängend, wieder auf der Fahrbahn. Zusätzlich haben wir aber das Fahrzeug seitlich mit Spanngurten über die Strasse an einem kräftigen Baum gegen das Abrutschen gesichert.  Zum Schluss beruhigen wir uns mit dem üblichen „es hätte auch schlimmer kommen können“ und sind dankbar für eine weitere Erfahrung, die schadlos abgelaufen ist. 

Villa O’Higgins selber entpuppt sich dann als ganz hübscher Ort, an dem wir entgegen unseren Plänen doch zweieinhalb Tage hängen bleiben. Trotz staatlich subventioniertem Leben entwickelt hier der eine oder andere Eigeninitiative und so entsteht ein bescheidenes touristisches Angebot. Wie vielerorts in Südamerika sind es jedoch oft nicht die Einheimischen, die sich ein Bein ausreissen, sondern neu zugewanderte Europäer oder Menschen aus anderen Landesregionen, die mit pfiffigen Ideen etwas Salz und Pfeffer ins spärliche Angebot bringen. 

Nach Villa O’Higgins reisen wir in grösseren Etappen und ohne weitere Zwischenfälle zügig auf der Careterra Austral Richtung Norden. Die rund achthundert Kilometer Schotterstrasse fordern zwar oft meine volle Konzentration und abends bin ich im Kopf ziemlich geschafft, trotzdem macht es aber total Spass, fernab des Verkehrs und ganz alleine in der Wildnis unterwegs zu sein. Vor Chaiten, wo wir auf die nur einmal wöchentlich auf die Insel Chiloé fahrende Fähre warten müssen, machen wir einen Abstecher nach Argentinien. Dort besuchen wir den Parque National Los Alerces. Leider ist das Wetter schon seit einigen Tagen eher trüb bis regnerisch, sodass wir im Park nicht allzu viel unternehmen können. Auf der Rückfahrt nach Chile, es ist inzwischen die zehnte Grenzüberquerung zwischen den beiden Ländern, nervt uns ein absolut unfähiger chilenischer Zöllner. Vermutlich hat er noch nie ein ausländisches Fahrzeug abgefertigt, denn er schaut dauernd wieder hilflos in seinen Anweisungen oder Spickzetteln nach und telefoniert auch irgendeinem Zollkollegen, wie er vorgehen soll. Dann lässt er uns wieder länger warten und fertigt Einheimische ab, um Zeit für sein Problem zu schinden. Ich unterdrücke meine aufsteigende Ungeduld und den Zorn so gut es geht und übe mich in Gleichmut. Nach einer Stunde aber platzt Lucia und mir langsam der Kragen und wir nehmen ihm das „Heft“ aus der Hand. Nun sagen wir ihm, wie die Formalitäten in seinem Land funktionieren. Nach fünf Minuten ist die Sache erledigt und wir fahren weiter. Ja, manchmal kann zu viel Anstand auch hinderlich sein, wir haben den Mann viel zu lange geschont. 

Über die Insel Chiloé, die bekannt ist für ihre vielen architektonisch interessanten Holzkirchen und die relaxten Menschen, gelangen wir nach Puerto Montt. Dort müssen wir bei der MAN-Vertretung ein paar kleine Dinge ersetzen lassen (Rücklicht, Drucksensor, Gummilager der Stossdämpfer) und auch Ersatz für den zerfetzten Reifen organisieren. Danach verlassen wir Chile, das uns mit seinem hohen Lebensstandart und seinen Gegensätzen sehr überrascht und auch beeindruckt hat, endgültig Richtung Osten. 

Unser erster Zwischenstopp ist das nahe der Grenze liegende Bariloche in Argentinien. Dort  besuchen wir wiederum Domini, Gillians Götti (Pate). Mit ihm und seiner Freundin verbringen wir zwei wunderschöne Tage und feiern auch gleich die Geburtstage unserer Zwillinge sowie derjenige von Domini, die nur einen Tag auseinander liegen. Leider heisst es dann auch bei ihnen Abschied nehmen. Mit rund 1'700 Kilometern folgt nun die grosse Überfahrt durch die Pampa nach Buenos Aires. Drei Tage lang fahren wir zuerst durch Steppe, dann Wüste und schlussendlich durch endlose, flache Agrarlandschaft. Über hunderte von Kilometern sehen wir bis zum Horizont nur noch Getreide-, Mais- und Sojafelder. Immer wieder stehen am Strassenrand riesige Werbetafeln von all den verschiedenen Anbietern von genmanipuliertem Saatgut wie Monsant, Syngenta, Dow und viele mehr. Die Felder selber sind alle mit kleineren Tafeln mit dem Logo der jeweiligen Saatgutfirma und einer vierstelligen Identifikations-Nummer markiert, vermutlich damit man weiss, wo welches Saatgut ausgebracht wurde. Für uns als Bürger aus einem sehr genmanipulationskritischen Land etwas ziemlich Befremdendes. Abgesehen von der bis heute nicht bewiesenen Unbedenklichkeit der Genmanipulation, liegen die grössten Negativeinflüsse wohl bei der Abhängigkeit der Farmer von den Agrarchemie-Multis. Diese binden die Farmer teils mit knüppelharten Verträgen an ihr Saatgut, was manchenorts schon zum Ruin von Farmern geführt hat. 

Buenos Aires ist zwar mit seinen über 10-Millione Einwohnern eine Monsterstadt, gilt jedoch als eine der schönsten Städte ganz Südamerikas. Von hier haben wir für den 11. Juni einen Verschiffungstermin nach Hamburg erhalten. Eigentlich wollten wir quer durch den Amazonas bis nach Manaus, von dort weiter nach Venezuela und dann zurück nach Cartagena in Kolumbien reisen, wo wir vor 10 Monaten gestartet sind. Leider aber sind unsere Träume vom Amazonas, dem Besuch Venezuelas und von der kurzen Rückreise mit der komfortablen Hornlinie geplatzt. Die Schifffahrtsgesellschaft hat den Dienst mit ihren drei Bananenfrachtern im letzten Herbst ganz überraschend und ersatzlos eingestellt, was unseren Zeitplan arg durcheinander gebracht hat. In Buenos Aires selber hält uns aber jetzt, es ist Anfang April, noch nichts. Wir wollen die verbleibende Zeit nutzen, um Uruguay und den Süden Brasiliens zu bereisen, wo unser letztes Highlight wartet – die Iguazu Fälle und der Besuch einer früheren Nachbarin. 

Die einfachste Variante nach Uruguay zu gelangen, ist die Fähre von Buenos Aires nach Colonia del Sacramento. Die Fähren haben aber ein Höhenlimit von 3.80 Metern, die wir leider um einige Zentimeter überschreiten. So bleibt uns nichts weiter, als durch die für ihre korrupte Abzocker-Polizei berüchtigte argentinische Provinz Entre Rios nach Norden zu reisen und über eine der grossen Brücken des Rio Uruguay nach Uruguay zu gelangen. Tatsächlich lässt der schlechte Ruf, der den lokalen Polizeieinheiten vorauseilt nicht lange auf die Tat warten. Schon beim zweiten Kontrollposten werden wir gestoppt und zur Seite gebeten. Ich muss den Pass, den Fahrzeugausweis und den internationalen Führerschein zur Prüfung abgeben. Die Miene und Gestik der uniformierten Halsabschneider lässt mich nichts Gutes erahnen. Ich werde aus dem Fahrzeug gebeten, um mit dem Jüngeren der beiden Polizisten einen Rundgang um unser Fahrzeug zu machen. Er beanstandet die fehlenden Rückstrahlfolien, die entlang des Fahrzeugaufbaus in regelmässigen Abständen angebracht sein müssen und den Unterfahrschutz, der nicht den gesetzlichen 40 cm über Boden entspricht. Nach dem ich das zur Kenntnis genommen habe, werde ich ins nahe Büro zitiert, wo man mir versucht, klarzumachen, dass sie eine Busse ausstellen „müssen“. Natürlich verstehe ich von all dem sehr lange nichts, bis ich mich dann aber nicht mehr hinter sprachlichen Problemen verstecken kann. Der junge Scharfmacher zeigt mir Bussenquittungen von anderen Sündern und liest mir geduldig die Paragrafen, die ich verletzt habe, aus dem Gesetzesbuch vor. Dann folgt die preisliche Auflistung der zwei Positionen, die sich zur stolzen Summe von rund 1'350 Pesos häufen (ca. CHF 450.00). Nun werde ich meinerseits aktiv, verwerfe die Hände und versuche klarzumachen, dass ich als Tourist nicht alle ihre Finessen kennen kann und nicht bereit sei, auch nur einen müden Peso zu bezahlen. Auf diese Weise aber kommen wir keinen Schritt weiter und es bleibt mir nichts anderes übrig, als Lucia zur Verstärkung beizuziehen. All meine Dokumente lässt der Beamte demonstrativ und zur Einschüchterung in seiner Schublade verschwinden, als ich mich anstelle, sein Büro zu verlassen. Mit Lucia als Übersetzerin kommt nun etwas mehr Schwung in die Sache. Ich sage ihr in energischer Stimme, was sie übersetzen soll und wir diskutieren, auch das gehört zur Taktik, sehr angeregt auf Deutsch. Irgendwann frage ich Lucia nach einem Schreibzeug und beginne die Namen des Beamten und auch diejenigen seiner Chefs (an der Wand hängt ein Plakat mit der gesamten Hierarchie) zu notieren. Plötzlich taucht ein älterer Uniformierter auf, der irgendwelche Anweisungen erteilt und siehe da, der junge Scharfmacher greift in die Schublade, gibt mir meine Dokumente zurück und verabschiedet uns. Das Ganze hat nur eine halbe Stunde gedauert aber ziemlich genervt. Die Dreistigkeit dieser Typen ärgert uns auch im Nachhinein noch eine ganze Weile. Man weiss zwar ganz genau, dass man im Recht ist und sie eine unerlaubte, korrupte Handlung begehen, fühlt sich aber trotzdem den unberechenbar erscheinenden und Macht demonstrierenden „Ordnungshütern“ ausgeliefert. Ich habe von Anfang an gewusst, dass ich keinen Cent bezahlen werde, trotzdem muss sich jedes Mal von neuem erweisen, wer die besseren Nerven und den längeren Atem hat. Anscheinend gibt es immer wieder Leute, die sich in solchen Situationen so einschüchtern lassen, dass sie schlussendlich bezahlen. 

Die erste Brücke nach ca. 150 Kilometern, da sind wir inzwischen bereits vorgewarnt, ist immer noch durch Demonstranten besetzt. Uruguay ist daran, eine Papierfabrik in Betrieb zu nehmen, deren Abwasser in den gemeinsamen Grenzfluss zu Argentinien fliesst. Deshalb besetzen schon seit x Monaten argentinische Umweltaktivisten die Brücke und somit diesen Grenzübergang. Hier schaut die Polizei aber nur zu, es scheint einfacher zu sein, Touristen auszunehmen. Die Argentinier monieren, dass durch die Papierfabrik der Fluss verschmutzt würde, was ihren Tourismus und den Fischfang beeinträchtigen würde, vergessen aber dabei ihre eigenen Umweltsünden entlang des Flusses. Die Uruguayer halten dagegen, dass mit der neuen Papierfabrik viel höhere Umweltstandards eingehalten würden, als die Argentinier ihrerseits jemals angewandt hätten. Der Fall – ein richtig machomässiger Machtkampf - ist sogar bis zum internationalen Gerichtshof nach Den Haag getragen worden. Für uns heisst das nichts anderes, als nochmals 100 km weiter zur nächst nördlicheren Brücke zu fahren.
 

Uruguay (10. April - 17. April 2010) 

Die Grenzformalitäten nach Uruguay sind eine Sache von 10 Minuten und verblüffen uns so, wie vieles in diesem unscheinbaren Land. Es gilt zwar als die Schweiz Südamerikas, jedoch kaum des Reichtums wegen. Das Land ist insgesamt, von der recht touristischen und wohlhabenden Küste abgesehen, eher arm. Was aber schweizerisch anmutet, ist die Sauberkeit und die gute Infrastruktur. So geniessen wir es, auf hervorragenden Strassen unterwegs zu sein, in den bis anhin besten und am schönsten präsentierenden Supermärkten ganz Südamerikas einkaufen zu können, im ganzen Land über WIFI zu verfügen und überall auf freundliche und auf angenehme Art neugierige Menschen zu stossen. Zudem hören wir, dass der Staat zur Bildungsförderung seit vergangenem Jahr jedem Schüler im Land einen Laptop zur Verfügung stellt. Weiter fällt uns, oder speziell mir auf, dass die Uruguayer verliebt sein müssen in ihre alten Karossen. Immer wieder sieht man in Vorgärten, entlang des Trottoirs, in Seitengassen oder auch im täglichen Verkehr Oldtimer, deren Jahrgang bis zurück in die 20er Jahre des vergangenen Jahrhunderts reicht. Oft dienen die Fahrzeuge, oder auch bloss überwucherte Fragmente davon, nur noch als Blickfang und als Zeuge vergangenen Kulturgutes. Aber auch liebevoll gepflegte und restaurierte Objekte sieht man oft. In mir wird eine alte und schlummernde Vorliebe für opulent geformtes Blech und nach modrig riechenden Interieurs aus Leder, Rosshaar und Filz wach. Bereits liege ich Lucia mit meinen diesbezüglichen Wünschen in den Ohren und versuche auch unsere Mädchen von diesen rollenden Kultgegenständen zu begeistern. 

Was uns im Weiteren extrem auffällt, sind die vielen Mate-Trinker in der Öffentlichkeit. Der Mate-Tee ist ein bitteres Kräutergebräu, das mit einem metallenen Mundstück, das gleichzeitig als Filter dient, aus speziellen Schalen getrunken wird. In Argentinien ist es weit verbreitet und scheint ein Nationalgetränk zu sein. Im Vergleich aber zu dem was wir hier erleben, sind die Argentinier bloss Gelegenheitstrinker, die Uruguayer aber sind voll süchtig. Kaum jemand, ob jung oder alt, dem wir auf Trottoirs, in Parks, beim Einkaufsbummel oder wo auch immer begegnen, der nicht einen Thermoskrug unter den Arm geklemmt hat und aus seiner Mate-Kalebasse schlürft. Wie das Kokablätterkauen, das man einfach einmal ausprobiert haben muss, versuchen wir es auch mit dem Mate. Aber auch dieses „Suchtmittel“ hat es uns nicht angetan. Wir bleiben lieber beim Rotwein und beim Single Malt. 

Wir sind ohne grosse Erwartungen oder Ansprüche nach Uruguay gekommen, dafür aber umso mehr beeindruckt worden. Nichts desto trotz bleibt es für uns jedoch nur ein Transitland und hat für einen längeren Aufenthalt, speziell jetzt im Herbst und nach der Bade- und Surfsaison auch nicht sehr viel Spektakuläres zu bieten. Die Hauptstadt Montevideo macht auf uns eher einen etwas vernachlässigten, wenn nicht gar verlotterten Eindruck. Dafür ist Maldonado und vor allem Punta del Este sehr mondän. Hier treffen sich in der Hochsaison die Schönen und Reichen und der Yachthafen füllt sich mit schwimmenden Villen. Nun aber ist absolut tote Hose und zudem regnet und stürmt es wie verrückt. Die zur Zeit grösste Attraktion sind ein paar fette, männliche Seelöwen, die sich nur 10 Meter von unserem Parkplatz entfernt beim Yachthafen auf dem Trottoir und dem angrenzenden Rasen breit machen und alle Passanten anbrüllen, die sich erdreisten, ihnen etwas zu nahe zu treten. Nach einem kurzen Abstecher weg von der Küste ins Landesinnere, besuchen wir den mit 513 Meter höchsten Punkt Uruguays. Die Landschaft ist zwar schön aber schnell mal eintönig. Zurück an der Küste erreichen wir nach einer weiteren Tagesreise bereits die Grenze zu Brasilien.
 

Brasilien (18. April - 7. Mai) 

Zuallererst fällt uns in Brasilien auf, wie frustrierend es sein kann, wenn man die Menschen nicht mehr versteht. Die spanische und die portugiesische Sprache sind sich zwar sehr ähnlich, jedoch könnte die Aussprache unterschiedlicher fast nicht sein. Dazu scheinen viele Menschen hier für Anderssprachige kein Einfühlungsvermögen zu haben, ansonsten würden sie nicht bei den einfachsten Fragen auf Spanisch mit einem gewaltigen Wortschwall auf Portugiesisch antworten. Erstaunlicherweise gewöhnen wir uns aber doch schnell daran und können so gemäss den Hauptwörtern, die wir versuchen, heraus zupicken, einigermassen entziffern, was gemeint ist. Auch haben wir schnell ein Auge dafür, von wem man überhaupt eine entsprechende Antwort auf unsere Frage erwarten darf und von wem nicht. 

Erstaunlich ist auch, unter welchen Einbruch- und Überfallängsten viele Menschen hier zu leiden scheinen, was fast schon an Paranoia grenzt. Entlang der Küste steht kaum ein Haus ohne Alarmanlage. Villen von reicheren Leuten sind oft mit hohen Mauern und Stacheldraht obendrauf gesichert. Immer wieder werden wir von uns unbekannten Leuten zur Vorsicht gemahnt. Durch die unablässigen Schreckensmeldungen, die in einem solch riesigen Land mit rund 180 Millionen Menschen tatsächlich passieren können, werden aber viele Menschen durch die non stopp laufenden TV-Geräte einer wahren Hirnwäsche unterzogen, sodass diese tatsächlich zu glauben beginnen, hinter jeder dunklen Ecke würde ein Übeltäter lauern. 

Diese grassierenden Ängste gehen auch an uns nicht spurlos vorbei und so haben wir gar keine Lust mehr, wild zu übernachten. Schon am zweiten Abend fahren wir bis es stockdunkel ist, weil wir keinen adäquaten Platz finden. Endlich kommt eine grössere Tankstelle in Sicht, wo wir fragen wollen, ob sie 24 Stunden geöffnet hätte und somit überwacht sei. Bei der Einfahrt erwische ich einen leichten Absatz und es rumpelt ziemlich. Kaum sind wir ausgestiegen, höre ich bereits ein Zischen am rechten Hinterreifen. Die Tankstelle macht natürlich, das gehört zum heutigen Pech, um 21 Uhr dicht. Es bleibt nichts anderes übrig, als das Fahrzeug für die Nacht zu parkieren und mich an die Arbeit zu machen. Es bleiben mir noch 1 ½ Stunden Zeit, bis die Tankstelle die Lichter löscht. Bis dahin muss ich es schaffen, zumindest den Reifen geflickt zu haben. Gillian macht den Handlanger und Lucia bereitet schon mal das Abendessen vor. Einen so schönen Platz zum Reifenflicken hatten wir noch nie und ich komme fast schon ins Schwärmen. Direkt neben dem Tankstellengebäude stehen wir auf einer komplett ebenen, betonierten Fläche ohne Staub oder Dreck. So ist das Fahrzeug in Rekordzeit aufgebockt und das Rad demontiert. Das Übel, ein spitzer Granitstein muss ich allerdings mit viel Gewalt aus dem Gummiprofil operieren. Für den Flick, den ich innen aufbringen muss, muss ich ordentlich Gummi aufrauen und anschliessend die Stelle mit viel Gummilösung einstreichen, so wie beim Fahrrad-Schlauch. Nur hat der Flick mit 12x18cm und einer Dicke von etwa 8mm etwas andere Dimensionen. Kurz vor dem Lichterlöschen der Tankstelle sind wir bereit, das Rad zu pumpen und zu montieren. 

Ein weiteres Phänomen, ähnlich der fast krankhaften Angst vor Überfällen, die uns hier an der Küste Brasiliens aufgefallen ist, sind die Vorbehalte vieler Menschen in Südamerika gegenüber den Nachbarländern. Die Kolumbianer und die Ecuadorianer sind diesbezüglich noch sehr neutral gewesen. In Peru hat es dann aber begonnen mit dem Schnöden über die bolivianischen Nachbarn. Die Chilenen und die Argentinier lassen sich oft auch kein gutes Haar. Die Chilenen werfen den Argentinier Korruption und Unordnung vor und die Argentinier halten die Chilenen für stur und freudlos. Hier in Brasilien sind wir eindringlich vor dem Besuch Paraguays gewarnt worden, wo die Drogenmafia lauert. Gespannt kann man sein, was schlussendlich die Paraguayer an ihren doch übermächtigen Nachbarn zu bemängeln haben. 

Diese Route entlang der südlichsten Küste Brasiliens und durch die Provinz Santa Catarina haben wir nicht nur wegen den Iguazu-Fällen gewählt, sondern vor allem auch wegen dem Besuch einer vor Jahren ausgewanderten Nachbarin von mir. Elisabeth und ihr Mann Francisco, dessen Grossvater ursprünglich aus Österreich nach Brasilien ausgewandert ist, leben in Treze Tilias (Dreizehn Linden), einer Tiroler Kolonie. Wir erreichen den Ort zwar erst bei Dunkelheit und im Regen, was wir aber im Licht der Strassenlampen noch sehen, lässt uns erheitert Staunen. Wir sind uns zwar ganz sicher, dass wir uns in Brasilien befinden, wähnen uns aber doch urplötzlich in einer ganz anderen, alpenländischen Welt. Die Häuser und im speziellen die grossen Hotels präsentieren sich dermassen perfekt tirolerisch, dass man glauben könnte, wir seien für ein Wochenende nach Österreich gefahren. 

Bei Elisabeth und Francisco werden wir dann mit einer solchen Herzlichkeit empfangen, dass wir uns alle fünf sogleich heimisch fühlen. Wir geniessen drei Tage lang grossartige Gastfreundschaft und lernen viel über die Geschichte der Auswanderer. Uns wird nun klar, dass wer aus purer Not auswandert, wie viele Europäer in den vergangenen zwei Jahrhunderten, sein Liebstes, seine eigene Kultur, mitnimmt und diese pflegt und auch weitergibt. Wenn ich heute auswandern würde, täte ich das, um neues kennen zu lernen, um das Fremde zu erleben und mich dort einzufügen. Damals aber haben ganz andere Vorzeichen geherrscht. Und so findet man hierzulande heute noch viele weit verstreute Flecken Erde mit verschiedenen fast unverfälschten europäischen Kulturen. In Treze Tilias sind es Tiroler, in Blumenau Deutsche, in Nueva Helvecia Schweizer und anderswo Engländer usw. Zur Erhaltung der Kultur gehören natürlich nicht nur Folklore mit Trachtentänzen in Lederhosen oder ein zünftiges Schwinget oder ein Festmahl mit Sauerkraut und Weisswurst, nein, dazu gehören alle Bereiche des Lebens vom Wohnen bis zum Kochen, von der Bekleidung bis zur Sprache und hin zur Arbeitsmoral. 


Fortsetzung

Zwei Tagesreisen durch sehr hügelige und durch intensive Agrarwirtschaft geprägte Landschaft später, gelangen wir nach Foz Iguazú. Hier werden die berühmten Wasserfälle, was landschaftliche Sehenswürdigkeiten anbelangt, für uns wohl der krönende Abschluss sein. Die Iguazú-Wasserfälle sind, auf die Breite bezogen, die grössten Wasserfälle der Welt. Auf einer U-förmigen Breite von 2’700 Metern donnern 20 grössere sowie 255 kleinere, von Inseln getrennte Wasserfälle teils direkt, teils über Stufen bis zu 82 Meter in die Tiefe. Die Wassermenge schwankt von 1’500 m³/s bis über 7’000 m³/s. Und jetzt, nach tagelangen intensiven Regenfällen, über die wir sehr geschimpft haben, scheint wieder die Sonne und wir erleben ein wahres Spektakel. Seit 28 Jahren soll der Fluss nie mehr so viel Wasser, es sind an die 15'000 m³/s, geführt haben. Zum Vergleich führt Europas grösster Wasserfall, der Rheinfall, im Durchschnitt 370 m³/s. 

Als Erstes buchen wir eine Bootsfahrt, die uns zum Fusse der Fälle bringt. Was als ganz harmlose, gemächliche Bootsfahrt durch die braune Brühe den Fluss hinauf beginnt, wird, je näher wir zu den Fällen gelangen, zur echten Rafting-Action. Immer lauter wird das Tosen und Donnern der Wassermassen, deren weisse Gischt vom Wind weit getragen wird und alles in ihrem Umfeld vor Nässe triefen lässt. Immer höher werden auch die Wellen und das Boot macht ein paar Mal fast Luftsprünge. Der Anblick der Fälle schlussendlich, vor denen wir für das Fotoshooting im Abstand von rund hundert Metern anhalten, ist schlicht überwältigend. Dann heisst es, Kameras wasserdicht verstauen, denn es folgt das ultimative Finale. Der Bootsführer macht eine lange Schlaufe, bei der er bis auf wenige Meter an die gischtende und schäumende Wassermasse, die bedrohlich auf uns niederzudonnern droht, heranfährt. Sehen können wir zwar nicht mehr viel, alles ist wie bei einem Schneesturm nur noch weiss um uns herum, aber das Erlebnis ist im wahrsten Sinne des Wortes atemberaubend. Innert Sekunden sind alle im Boot bis auf die Haut pitschnass und wie um ganz sicher zu gehen, dass auch wirklich kein Flecken trocken bleibt, werden wir zusätzlich noch von zwei grosse Wellen, die den ganzen Bug überspülen, voll erfasst. Zum Glück ist es tropisch warm und wir müssen nicht frieren. 

Dann folgt die Erkundung der ganzen Gegend zu Fuss und wir können uns kaum sattsehen. Was unter normalen Bedingungen schon enorm beeindruckt und als klares, sanftes Wasser gemächlich zur Abbruchkante fliesst und danach zum dünnen, schneeweissen Wasservorhang wird, sind jetzt wilde, schnell fliessende, braune Wassermassen, die mit ohrenbetäubendem Donnern in die Tiefe schiessen und dabei die ganze Umgebung in einen weissen Gischt-Nebel hüllen. Nicht verwunderlich, soll Eleanor Roosevelt beim Anblick der Wasserfälle nur zwei Worte gesagt hat „Poor Niagara!“ (armselige Niagarafälle). Der Besuch der Iguazú-Fälle wäre nicht vollständig, würden wir nur die brasilianische Seite erkunden. Der mit ¾ weitaus grössere Teil liegt auf argentinischer Seite, wo lange, auf Stelzen angelegte Stege hautnah an die Fälle oder direkt über die Abbruchkante führen und faszinierende Ausblicke gewähren.
 

Paraguay (7. - 10. Mai 2010) 

Mit Paraguay betreten wir das letzte uns noch unbekannte Land auf unserer Reiseroute. Wir reisen allerdings nicht am Dreiländereck bei Foz Iguazú ein, sondern fahren zum ca. 200 Kilometer weiter nördlich gelegenen Grenzübergang Guaíra. Hier soll es wesentlich ruhiger und auch ohne das kriminelle Gesindel, das sich beim Übergang bei Foz Iguazú herumtreibt, zugehen. Zudem ist diese Route nach Asunción, der Hauptstadt Paraguays, wesentlich weniger befahren. Obwohl die Brasilianer mit ihren Zollformalitäten recht unkompliziert sind, haben wir doch etwas Pech. Derjenige Beamte, der die Kompetenz zur Abfertigung unseres Fahrzeugs hat, macht Mittagspause. So warten wir fast zwei Stunden lang am Grenzposten und schauen den Beamtinnen und Beamten bei ihrem Job zu. Paraguay wird als Billigland durch die Brasilianer intensiv zum Shoppen heimgesucht. Mit Schmunzeln können wir mit ansehen, wie reihenweise zurückkehrende Brasilianer auf den Parkplatz gewinkt und gefilzt werden. Dabei gehen die Beamten gar nicht zimperlich um und lassen die oft voll gepackten Kofferräume bis zum letzten Gepäckstück ausräumen. Beim einen finden sie schon zu Beginn zwischen einer billigen Wolldecke „Made in China“ mehrere Stangen Zigaretten. In der Folge wird das Auto komplett gestrippt und schlussendlich werden schachtelweise Schmuggelgut, das kurzerhand konfisziert wird, ins Zollgebäude getragen. 

Auf der paraguayischen Seite müssen wir in der Stadt zuerst die Immigrationsstelle suchen, um  die benötigten Stempel im Pass zu erhalten. Unweit davon liegt der Zoll, der uns, zumindest sind wir uns das so gewohnt, für das Fahrzeug eine Bescheinigung ausstellen sollte. Nach einer halben Stunde Wartezeit bekommen wir Bescheid, dass wir so was nicht bräuchten. Sie hätten unser Fahrzeug im Computer erfasst und wir müssten uns beim Ausreisen nur darauf berufen. Wenn das nur mal gut geht? Paraguay ist das nach Bolivien zweitärmste Land Südamerikas und die Kluft zwischen unverschämtem Reichtum und extremer Armut soll hier ihren Höchststand finden. Zumindest gemessen am Strassenverkehr können wir das bestätigen. In den ganzen 10 Monaten zuvor quer durch Südamerika haben wir nicht so viele Mercedes auf den Strassen gesehen, wie hier in nur vier Tagen.

In Asunción, der Hauptstadt Paraguays treffen wir an einem Sonntag ein und sind durch unseren Reiseführer, der die Stadt am Wochenende als ausgestorben und somit für Touristen als gefährlich beschreibt, gewarnt. So schlimm kann es doch in einer Millionenstadt nicht sein, denke ich. So machen wir uns vom Campingplatz, der sich im botanischen Garten befindet, mit dem Bus auf in die Stadt. Schon die 20-minütige Busfahrt hat es aber in sich. Noch nie haben wir auf unserer Reise so laute, so stinkende und so ruppig gefahrene Busse erlebt. Alle paar hundert Meter steigt der Fahrer hart in die Eisen, um Fahrgäste aufzunehmen und anschliessend den uralten, schwarz qualmenden Diesel wieder durch die Gänge hochzudrehen und kurz darauf erneut eine Vollbremsung einzuleiten. Hätten wir keine Sitzplätze bekommen, wir wären dauernd an den Haltestangen herumgehangen wie turnende Affen. Im Stadtzentrum trauen wir dann unseren Augen kaum. Was ich im Reiseführer als Übertreibung abgetan habe, entpuppt sich gar als Untertreibung. Eine so verlassene, menschenleere Grossstadt haben wir bisher nirgends erlebt - als hätte man den Notstand ausgerufen. Vorsichtshalber greife ich nach dem Pfefferspray in meiner Hosentasche. Ein Shopbesitzer, der seinen kleinen Laden offen hat, erklärt uns mitleidig, wo wir etwas Leben finden und weist uns den Weg zum Regierungsgebäude und zum Hafen. Dort bietet ein Bootsbesitzer an, uns für wenig Geld eine Stunde rumzuschippern. Entlang des Ufers sehen wir dann allerdings vor allem sehr viel Abfall und dazu die klapperigen Bretterverschläge der Ärmsten der Armen. Danach fahren wir mit einem Taxi zu einem Shoppingcenter, um uns mit Lebensmitteln zu versorgen. Krasser können Gegensätze wohl kaum sein. Gerade haben wir Dreck und Elend gesehen und jetzt stehen wir mitten in Glimmer und Glamour. Alles was an Edlem und Teurem in der westlichen Welt zu haben ist, wird auch hier angeboten. Ob Parfums, Uhren, Modeaccessoires oder staubfangende Glitzer-Souvenirs von Swarovski, das Angebot ist immens. 

Am nächsten Morgen, als wir mit unserem Fahrzeug ins Stadtzentrum fahren, um die Zollformalitäten abzuklären, pulsiert das Leben wieder in den Strassen. Irgendwo ist noch eine Demonstration im Gange und so müssen wir von der Hauptroute abweichen. Wir gelangen ins unendliche Netz von engen Einbahnstrassen in Aussenquartieren, wo die allgegenwärtigen Baumalleen mit ihren tief hängenden Ästen die Suche nach dem Ausweg zum nervtötenden Spiessrutenlauf werden lassen. Nach über einer Stunde und langsam versagendem Deo sind wir aus dem Gröbsten heraus und machen uns auf Richtung argentinische Grenze.            


Argentinien (10. Mai - …) 

So oft, wie wir es bereits hinter uns haben, ist die Einreise nach Argentinien schon fast so etwas wie nach Hause kommen. Vor uns liegen rund 1'500 topfebene Kilometer durch endlose Agrarlandschaft. Unser Ziel heisst Nuevo Camping in Laguna de Lobos, etwa 100 Kilometer  ausserhalb von Buenos Aires. Hier muss ich meine vier „Frauen“ für eine Woche zurücklassen und alleine in die Schweiz fliegen. Unumgängliche Pflichten meines öffentlichen Amtes in der Heimat rufen! Wäre das mit der Hornlinie nicht passiert, wären wir grösstwahrscheinlich alle zusammen auf Termin zu Hause eingefahren. So aber ist die Sache etwas kompliziert und aufwendig geworden. Am 23. Mai bin ich aber wieder zurück bei meinen Liebsten. Ausser Buenos Aires, das wir noch intensiv durchstreifen werden, gibt es in dieser Region und Jahreszeit nicht viel Sehenswertes. Alles Spannende liegt gleich wieder 800 bis 1'000 Kilometer weit weg. Nun überbrücken wir die Zeit bis zu unserem Verschiffungstermin halt mit Schreiben, Lesen, Schulstoffbüffeln, Relaxen… 

…ja, und Sport! Wir sind in diesem Jahr eine richtig faule Bande geworden, aber hier auf diesem riesigen und ruhigen Camping-Platz ist irgendetwas über meine Mädels gekommen und plötzlich wird täglich fleissig gejoggt. Ich bin zwar schon 50, aber so grossem Gruppendruck kann ich mich trotzdem nicht entziehen. So habe ich mich heute (wir schreiben den 27. Mai im Jahr 2010) nach mehr als einem Jahr zu den ersten 30 Minuten Dauerlauf überwunden und bin dabei ins Sinnieren geraten. Jetzt, wo ich mich an ein paar wenigen Kilometern abmühe, kann ich mir gar nicht mehr vorstellen, dass ich mal so verrückte Dinge wie Marathon oder Ironman-Triathlons durchgezogen habe. Dass muss definitiv in einem anderen Leben gewesen sein. Ob ich wohl je wieder den Biss und die Zeit aufbringen werde, irgendeine grössere sportliche Herausforderung anzunehmen? Zumindest im Bauch fühle ich es - ja. Aber ist mein Bauchgefühl, das wie mein Bauch selber vielleicht etwas zu gross geworden ist, repräsentativ? Der Weg vom Bauch in den Kopf und von da in die Beine ist weit - und hart…

Fortsetzung

Ein E-Mail von unserer Verschiffungsagentur über die erneute Verzögerung von mindestens  weiteren zwei Tagen lässt in uns nochmals etwas Reiselust aufkommen. Bei einem Zwischenstopp in Buenos Aires besuchen wir Inés, unsere Kontaktperson bei der Agentur, um die nötigen Formalitäten vorzubereiten. Danach ziehen wir eine Schlaufe der Küste entlang Richtung Süden, um nach einer Woche landeinwärts über die Sierra de la Ventana wieder nach Buenos Aires zu gelangen. 

In Mar de Ajó ist der Strand in der ruhigen Winterzeit, wo all die tausenden von strandhungrigen Porteños ausbleiben, für Fahrzeuge freigegeben. Das lassen wir uns natürlich nicht entgehen und stellen uns für die Nacht direkt am Meer auf. Am Morgen bestätigt uns ein Fischer, dass der Strand durchgehend befahrbar sei und es möglich ist, weiter südlich wieder auf die Hauptstrasse zu gelangen. So fahren wir auf dem von der sich zurückziehenden Flut noch feuchten und gut tragenden Sand nahe der Wasserlinie entlang, wo unablässig die langen und herrlich weiss schäumenden Brecher hereinrollen und im flachen Sand ihre letzte Energie aushauchen. Das leicht schwimmende und weiche Fahrgefühl vermittelt einen riesigen Fahrspass bis nach etwa 15 Kilometer der Sand plötzlich viel weicher wird und der Widerstand massiv ansteigt. Ich schalte Gang um Gang runter und drücke das Gas voll durch. Das hilft aber nur kurz und dann stehen wir still und stecken bis fast an die Naben im tiefen Sand fest.

Natürlich hat auch bei dieser Aktion unsere Rollenverteilung sauber gespielt. Kurz zuvor hat Lucia noch zur Umkehr gemahnt und ich habe – voll motiviert, die Grenzen unseres Fahrzeugs auszuloten – abgewinkt. Und nun ist Sport angesagt! Ja, was gibt es denn schöneres, als eine Schaufel in lockeren, weichen Sand zu stossen und diesen umzuschichten. Schon als Knabe habe ich die Bauarbeiter beim Pflaster anmachen beneidet und davon geträumt, eine ganze Lastwagenladung dieses edlen Materials in meinem Sandkasten zu haben. Irgendwie scheint in meinem Unterbewusstsein etwas davon haften geblieben zu sein. Zum lustvollen Schaufeln kommt noch dazu, dass endlich auch unsere Sandbleche, die wir bisher nur als uriges Dekor durch die Gegend gefahren haben, zum Einsatz kommen. Ich bin auf jeden Fall froh, diese Erfahrung so kurz vor unserem Reiseende noch machen zu dürfen. Fast drei Stunden später haben wir die paar hundert Meter zurück auf tragfähigeren Untergrund geschafft. 

In der Sierra de la Ventana, die uns mit ihrem goldbraun in der Sonne leuchtenden Präriegras stark an Patagonien erinnert, kann ich ein seit langem abgegebenes Versprechen gegenüber unseren Mädchen einlösen. Wir unternehmen in dieser herrlichen Gegend zwei halbtägige Ausritte. Pferde haben auf den Menschen eine spezielle Anziehungskraft und auf einem dieser edlen Geschöpfe durch die weite Prärie, entlang idyllischer Bäche und über Hügel zu reiten, vermittelt einem wirklich das Gefühl von Freiheit. 

Zurück in Buenos Aires geniessen wir noch ein paar Tage diese faszinierende Weltstadt mit all ihren speziellen Vierteln und Sehenswürdigkeiten wie Recoleta, Puerto Madero, La Boca oder San Telmo. Nun aber, wo wir innerlich mit der Reise abgeschlossen und uns auf die Heimreise eingestellt haben, nerven wir uns etwas an einer weiteren Verzögerung von ein bis zwei Tagen. Das Schiff soll nun erst am 16. oder 17. Juni im Hafen einlaufen. Das gibt uns allerdings die Gelegenheit, doch noch etwas von der Fussball-WM mitzubekommen. Heute haben wir in einem Tangolokal in La Boca zusammen mit einigen fussballbegeisterten Brasilianern das Spiel Brasilien gegen Nord-Korea verfolgt.

 Am Mittag des 16. Junis bekommen wir von Inés endlich eine klare Aussage. Wir müssen uns am 18. Juni um 10:00 Uhr im Hafen von Buenos Aires einfinden. Am Abend, keine sechs Stunden Später, finden wir am Fahrzeug einen Zettel vor mit der Nachricht, wir müssten sofort unsere Mails prüfen oder Inés anrufen. Gemäss diesem Mail hat man umdisponieren müssen und das Schiff läuft, um Zeit aufzuholen, den Hafen von Buenos Aires gar nicht mehr an. Wir müssen am folgenden Morgen im 90 Kilometer weiter nördlich liegenden Hafen von Zarate einschiffen. Nun kommen wir etwas ins Schwitzen. Ich muss noch ein paar dringende Mails verschicken, das Gerfrierfach muss für die Verschiffung abgetaut werden und weitere Vorbereitungen müssen getroffen werden. Um 23:00 Uhr fahren wir endlich los und suchen uns den komplizierten Weg raus aus dieser riesigen Stadt Richtung Norden.

Wir sind mit unserem Kraftstoff auf Reserve und laufen ganze vier Tankstellen an, bis wir endlich Diesel erhalten. Am Abend scheinen fast sämtliche Tankstellen ausgeschossen zu sein. Um 01:30 Uhr sind wir in Campana und lassen uns ziemlich müde in unsere flauschigen Kissen fallen. So aber müssen wir uns nicht frühmorgens durch die Rushhour von Buenos Aires kämpfen, sonder sind am Morgen bereits in Hafennähe. Was wir nicht einkalkuliert haben, ist der Umstand, dass an diesem Morgen um 09:30 Uhr das Spiel Argentinien gegen Südkorea läuft und somit das öffentliche Leben in Argentinien weitgehend stillsteht. Auch der Hafen öffnet seine Tore erst um 11:00 Uhr und bei jedem Goal, dass Argentinien schiesst, startet ein Hupkonzert der vielen am Hafeneingang wartenden Lastwagen. Dann geht es aber sehr speditiv und wir fahren bereits eine Stunde später in den riesigen Rumpf der „Grande San Paolo“, wo unser Fahrzeug mit Spanngurten festgezurrt wird.

Fortsetzung unter "Heimreise + Résumé"