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Bis Feuerland und inklusiv Antarktis

Frappanter könnte der Unterschied fast nicht sein, als wir nach einigen Kilometern Schotterpiste nach dem bolivianischen Grenzposten auf die chilenische Hauptroute nach San Pedro de Atacama gelangen. Es ist eine asphaltierte breite Strasse mit Mittelstreifen, Seitenmarkierungen, Stahlleitplanken und Signalisierung nach europäischem Muster. Die Strasse fällt von den gut 4'000 Höhenmetern des Altiplano auf einer Strecke von etwas über 20 Kilometern ohne nennenswerte Kurven oder gar Serpentinen ganze 2’000 Meter in die Atacama-Wüste ab. 

Die Zollformalitäten für Chile können wir erst 40 km nach der bolivianischen Grenze in San Pedro de Atacama erledigen, was absolut reibungslos verläuft. Einzig die SAG, eine Agrarbehörde, die die Restriktionen für die Einfuhr von Frisch- und Tierprodukten überwacht, ist neu für uns. Diese Behörde hat vor allem eines zum Ziel, die in Chile noch nicht eingeschleppte Fruchtfliege fern zu halten. Etwas Käse, Honig, ein paar Zwiebeln und Erdnüsse haben wir bereits in weiser Voraussicht dem bolivianischen Zöllner zum eigenen Verzehr in die Hand gedrückt, was dieser sehr dankbar entgegen genommen hat. Schlägt sich dieser doch in seinem sehr abgelegenen und schlecht versorgten Aussenposten sehr lange, beschwerliche Tage um die Ohren.

San Pedro de Atacama reizt uns nicht sonderlich und so fahren wir nach ein paar notwendigen Besorgungen gleich weiter, um abends am Eingang des nahe gelegenen Parks „Valle de la Luna“ zu nächtigen. Nach dem Besuch dieser faszinierenden Landschaft fahren wir zwei Tage später weiter nach Calama, wo wir im nahe gelegenen Chuquicamata die weltweit grösste Kupfermine besuchen. Die gleichnamige Ortschaft mit ihren schönen und gepflegten Häuserzeilen und Strassenzügen ist erst vor vier Jahren wegen der immer erdrückender werdenden Emissionen zwangsgeräumt worden und ist heute eine tote Stadt, was uns eher deprimiert. Die Mine selber aber könnte mit ihren schieren Dimensionen eindrücklicher nicht sein (siehe Bilder). 

Auf Empfehlung eines anderen Reisenden machen wir uns von Calama auf durch die Atacama Wüste Richtung Süden zum Paso Socompa, der auf unserer Karte nur als unbedeutende Nebenroute verzeichnet ist. Auf über 300 Kilometer Schotterpiste begegnet uns kein einziges Auto und wir erleben eine herrliche, abgelegene Welt mit einer gehörigen Brise Salz und Pfeffer. Wir passieren Mienefelder mit einem zerstörten Land Rover, bekommen in einem Geisterdorf mit ehemaligem Militärstützpunkt etwas Gänsehaut und erleben jede Menge landschaftliche Reize. Auf der Passhöhe versperrt uns ein Schlagbaum, der eigentlich ausser Funktion ist, sich aber nicht ganz aufrichten lässt, die Durchfahrt. Im Bereich des Gegengewichts benötigt es erst etwas Grabarbeit, bevor wir passieren können. Die sehr freundlichen chilenischen Zollbeamten aber nehmen uns schon bald die Hochstimmung. Nein – sie stellen weder korrupte Forderungen noch sind sie sonst wie unfreundlich, ganz im Gegenteil. Noch nie haben wir uns auf unserer Reise von Beamten so korrekt und mit einer solchen Menschlichkeit behandelt gefühlt, wie hier. Was sie uns offenbaren ist der Umstand, dass sie ihrerseits schon bereit seien, uns abzufertigen, jedoch die Argentinier vor einem Jahr die Abfertigung für Fahrzeuge eingestellt hätten. Wir geben nicht so schnell auf und wollen es wenigstens versuchen. Der Chef der chilenischen Zöllner begleitet uns die paar hundert Meter bis zu den Argentinier rüber, da man sich in diesem einsamen Aussenposten gut kennt. Aber die Argentinier lassen sich nicht erweichen, uns irgendein provisorisches Papier auszustellen, mit dem wir dann in der nächst grösseren Ortschaft eine ordentliche Abfertigung machen könnten. Es hilft nichts, wir müssen durchs „Nowhere“ zu einem 350 Kilometer weiter nördlich gelegenen, grösseren Grenzposten fahren. Zuerst aber laden uns die herzlichen Chilenen zum Kaffee ein und tischen uns noch von ihrem feinen, selbst gebackenen Brot und Schinken auf. So wird es dann doch etwas spät, um noch ein Stück des Weges zu fahren und wir entscheiden uns, gleich hier neben dem Grenzposten auf windigen 4'100 Metern Höhe zu übernachten. 

Ich rechne mir aus, dass wir anderntags ca. Mitte Nachmittag beim andern Grenzposten sein könnten. Damit wird aber nichts. Den richtigen Weg zu finden erweist sich wieder einmal anspruchsvoller als gedacht und auch die Piste ist teils so mies, dass wir nur langsam vorwärts kommen. Dazu kommen wir immer wieder an so gewaltig schönen Flecken Erde vorbei, dass wir uns ein paar Stopps mit kurzem Verweilen nicht verkneifen können. Es ist bereits abends um sieben, als wir auf dem Paso de Sico am chilenischen Grenzposten ankommen. Wie gewohnt freundlich nimmt man unsere Pässe entgegen. Nach nur einem kurzen Blick hinein, händigt man uns diese jedoch bereits wieder aus. Wir stutzen und fragen, ob sie uns nicht einen Ausreisestempel machen müssten und ich reiche auch das Formular für unser Fahrzeug nach. Nun kommen die Beamten ihrerseits ins Stutzen. Sie seien nur ein normaler Gendarmerieposten, die Ausreisende kontrollieren, jedoch keine Befugnisse hätten, zolltechnische Abfertigungen vorzunehmen. Dafür sei die Nationalpolizei zuständig und diese befänden sich in San Pedro de Atacama, wo wir die Abfertigung hätten vornehmen müssen. Super! …und wer erklärt einem unwissenden Reisenden rechtzeitig solche Raffinessen? Natürlich niemand, da muss man schon selber draufkommen. Wir schauen zuerst einander und dann auch die Beamten, denen diese Situation auch nicht recht ist, gross an. Nun haben wir ein Problem, teile ich ihnen mit. Entweder sie hätten die Möglichkeit, uns etwas Diesel zu verkaufen, oder sie müssten uns auch ohne ordentliche Abfertigung ziehen lassen. Als wir uns in Calama auf den Weg gemacht haben, haben wir anhand der Distanz kalkuliert, dass unser Kraftstoff inklusiv etwas Reserve bis nach Argentinien ausreicht und wir auf das Tanken des teuren chilenischen Diesels verzichten können. Nun sind aber die 350 Kilometer Umweg dazugekommen und unterwegs hat sich nirgends eine Möglichkeit zum Tanken ergeben. Und nun sind wir bereits mit beiden Tanks tief in der Reserve! Die Beamten denken konstruktiv mit und kommen zum Schluss, dass sie keinen Grund sehen, uns zwangsläufig zurückzuschicken und es in unserem eigenen Ermessen liege, die Konsequenzen zu tragen. Auf unsere Frage, was denn die schlimmste anzunehmende Konsequenz sei, meint der eine mit einer eindeutigen Handbewegung „Inhaftierung“, fügt aber sogleich ein beschwichtigendes Augenzwinkern an.     

Runde 20 Kilometer weiter, es ist bereits acht Uhr und am Eindunkeln, stehen wir in der für diese Gegend überdimensionalen Schalterhalle des argentinischen Grenzpostens. Ein junger, übereifriger Beamter in Uniform fordert unsere Pässe ein, die er sehr konzentriert durchblättert. Nach einer Weile und mehrmaligem Konsultieren seines „Lehrbuchs“ hebt er seinen Blick und wir erwarten seine Frage nach dem chilenischen Ausreisestempel. Aber nein, das scheint ihn nicht zu interessieren, nach was er fragt ist das Familienbüchlein! Wie? was möchte er, frage ich Lucia entgeistert, als sie seine Forderung übersetzt. Wir alle haben gültige, internationale Reisepässe und haben damit noch nirgends Probleme gehabt. Und hier, in einem der am höchsten entwickelten südamerikanischen Länder, fragt man uns nach dem Familienbüchlein! Ich glaube, ich bin echt im falschen Film. Unsere ganzen Ausführungen aber nützen nichts. Zwei andere Beamte in Zivilkleidern kommen dazu und man bittet uns um etwas Geduld. Im Hintergrund hören wir dann, wie ein älterer Beamter über Funk irgendeine übergeordnete Stelle anfragt und unsere ganzen Personalien durchgibt. Nach einer halben Stunde wird mir die Warterei zu blöde und wir fragen, ob wir auf dem Zollgelände übernachten könnten, was wir sowieso vorhatten. Uns genügt es, wenn wir die Pässe am nächsten Morgen zurückerhalten. Die Beamten scheinen aber nicht ganz begriffen zu haben, dass wir in unserem „Casa Rodante“ alles zum Leben notwendige dabei haben und fragen, ob wir irgendetwas benötigen, Wasser oder etwas zu Essen und zeigen uns gar einen Raum zum Übernachten. Diese Fürsorge löst nun auch meinen letzten Argwohn, das mit dem Familienbüchlein könnte eine Finte für korrupte Forderungen sein. Ich frage, ob man mir 20 Liter Diesel verkaufen könne, was mir für den nächsten Morgen versprochen wird. Am Morgen bekommen wir dann umgehend die gestempelten Pässe und das Fahrzeugpapier ausgehändigt und kein Mensch verliert mehr ein Wort über das Familienbüchlein. Auch die 20 Liter Diesel bringt die Dienstablösung vom Tal mit. Na, da ist man wohl wegen kürzlichen Kindesentführungen übervorsichtig gewesen und wollte ganz sicher gehen, dass unsere drei Mädels auch wirklich zu uns gehören.

In San Martin de los Cobres biegen wir ab zur Routa 40, einer in Argentinien legendären Strasse, die das Land entlang der Anden vom Norden bis ganz in den Süden erschliesst. Als wir auf die RN 40 gelangen, die über weite Strecken noch eine schmale Schotterpiste ist, zeigt uns das Erste der in regelmässigen Abständen aufgestellten Schilder noch um die 4'600 km an, die uns bis Feuerland noch verbleiben. Das führt uns wieder einmal auf drastische Weise vor Augen, mit welch riesigen Dimensionen wir räumlich eng denkenden Schweizer es hier zu tun haben. Auf unserer Karte mit Massstab 1:2'000'000 ist unsere Tagesetappe ziemlich geradlinig eingezeichnet und es ist auch nichts von einem Pass vermerkt, effektiv aber windet sich die Strasse in weiten Kehren immer höher den Berg hinauf, der fast kein Ende nehmen will. So sind wir ob dieser langen Kletterfahrt sehr erstaunt, erst recht, als wir dann irgendwann auf einer Passhöhe stehen, wo ein Schild die stolze Höhe von 4'959 Metern verkündet.

Im Valle Calchaquíes gelangt man über einen schmalen, 20 Kilometer langen Schotterweg abseits der Routa 40 zu einer in der totalen Wildnis gelegenen Oase der Sinne – zum Weingut Colomé. Hier hat sich der Schweizer Donald Hess (wer kennt nicht die herrliche Weine von Hess Collection?) in der Abgeschiedenheit der Sierra de Aguas Calientes, südwestlich von Salta, seinen Traum eines von Grund auf selber geplanten und erbauten Weingutes erfüllt. Zudem hat er den Standort auserkoren für seine Sammlung von Werken des weltberühmten Lichtkünstlers James Turell (Zuger Bahnhof). So kann man in einem herrlichen Ressort draussen in der Natur am Pool die Seele baumeln, sich von herrlichen Gerichten aus der Bioküche verwöhnen lassen und dazu auserlese Weine von einem der höchstgelegenen Weingüter der Welt geniessen. Und da Gaumengenuss und Augenschmaus schon immer eine gute Kombination gewesen ist, kann man anschliessend noch Augen reibend einige echt verblüffende Lichtinstallationen im angegliederten James Turell Museum bewundern.

In Salta lassen wir uns für ein paar Tage auf dem Camping Municipal nieder. Es ist ein bekannter Treffpunkt für internationale Reisende und wir treffen neben alt Bekannten auch ein paar neue Reisende. Zudem muss ich den defekten Reifen flicken, den wir unterwegs wechseln mussten und einem defekten Sensor, der dauernd Alarm schlägt, auf die Spur kommen. Dann ruft noch eine der schönen Pflichten aus der Heimat. Ein Weihnachtsgeschenk für den kleinsten meiner „Göttibuben“ muss rechtzeitig zur Post. Und weil dieser Vorgang eine spezielle Mischung aus Ärgernis und Amüsement gewesen ist, gebe ich diesen hier kurz wieder. Die normale Poststelle kann Auslandsendungen nicht abfertigen und so steigen wir nochmals ins Taxi und fahren zum Zollpostamt. Ein hilfsbereiter, jedoch in seinen Bewegungen sehr träger Beamter bittet mich, das fixfertig verklebte Paket wieder aufzureissen, um den Inhalt sichten und wägen zu können. Danach reicht er uns ein Packpapier, mit dem wir das Paket wieder einpacken „dürfen“. Das bedeutet, ich muss Adresse und Absender nochmals schreiben. Als nächstes nimmt eine mit viel Schminke enorm aufgetakelte Dame um die sechzig – sie wirkt eher wie die perfekte Puffmutter denn eine Postbeamtin – mit üppigem, im Deux-pièces sehr offen getragenem Busen und 2 cm langen, aufgeklebten Wimpern, meine Personalien und den Empfänger im Computer auf. Daraufhin, hier scheint totale Gewaltentrennung zu herrschen, übernimmt eine eher mütterlich wirkende Mittsechzigerin in schütterem Haar, jedoch voll jugendlich gepimten Fingernägeln, das Paket. Sie ist vermutlich Absolventin des Fachausweises „Klebefachfrau“, denn sie kleckert aus einer riesigen Tube üppig Leim auf den kleinen grünen Zollkleber, um diesen anschliessend aufs Paket zu pappen. Zu guter Letzt darf ich dann 50 Pesos hinblättern und kriege – wow, wie modern, eine Quittung mit Strichcode und Suchlaufnummer! Ich will mich ja nicht beklagen, schliesslich hat der Akt, der zuhause 90 Sekunden in Anspruch nimmt, auch nur runde 30 Minuten gedauert.

Von Salta führt unser Weg weiter Richtung Süden durch das malerische Valle de Lerma. Irgendwie sind wir nach den paar Tagen Pause in Salta wieder voll dem Vorwärtsdrang verfallen. Anders können wir es uns nicht erklären, dass wir bloss einen Tag für diese wahnsinns Landschaft aufwenden. Die Berge und Felsen sind durch Jahrmillionen zu kunstvollen und schroffen Kunstwerken geschliffen worden und die Farben reichen von braun über grau bis hin zur kompletten Farbscala von altrosa. Zwischendurch bilden sattgrüne Vegetationsstreifen entlang von Bächen und Flüssen einen herrlichen farblichen Kontrast. 

An unserem Fahrzeug stehen einige Arbeiten und Kontrollen an, die wir unbedingt noch vor Weihnachten erledigen wollen. In Argentinien, wie auch den meisten andern südamerikanischen Ländern, ist MAN nicht vertreten und so bleibt uns nichts anderes übrig, als nach Santiago, der Hauptstadt von Chile zur dortigen MAN-Vertretung zu reisen. Deshalb wollen wir so schnell als möglich und nur noch mit kleinen Abstechern über „San Fernando del Valle de Catamarca“ (geht’s auch kürzer?), La Rioja und San Juan nach Mendoza und von dort über die Anden nach Santiago gelangen. Am chilenischen Zoll kommt bei uns leichte Nervosität auf, da wir bekanntlich bei der letzten Ausreise auf dem Paso de Sico ohne Stempel ausgereist sind. Nach einer kürzeren Diskussion und dem Beizug eines höheren Beamten ist das Problem für die sehr offenen und unkorrupten Chilenen erledigt, unsere Pässe gestempelt und das Fahrzeugpapier ausgestellt. 

Bei der MAN-Vertretung in Santiago werden wir mit offenen Armen empfangen. Man ist sich an internationale Reisende mit MAN-Fahrzeugen gewohnt und so dürfen wir auch auf dem ruhigen, sicheren und mit einer kleinen Gartenanlage schön gelegenen Firmengelände campieren. Die von unserem „kleinen Rempler“ in Peru her immer noch ramponierte Stossstange und der Kotflügel sind in drei Tagen gerichtet, ausgebessert und neu lackiert. Auch zwei neue Pneus  vorn und zwei gebrauchte hinten sind aufgezogen. Leider aber sind die für den Service notwendigen Luftfilter, Diesel-Filter sowie Öl-Filter von unserem Modell nicht an Lager und müssen mit der nächsten DHL-Sendung aus Deutschland bestellt werden. Maurice, einer der Inhaber-Brüder ist aber zuversichtlich, dass das Material bis am kommenden Montag oder Dienstag, also noch knapp vor Weihnachten hier sein sollte.

Es ist Freitagnachmittag und so machen wir uns auf, um der Hitze Santiagos übers Wochenende zu entfliehen und ans Meer zu fahren. Ausserhalb von Valparaiso fahren wir in eine kleinere Ortschaft hinein, um an einer Tankstelle nach Parkmöglichkeiten am Meer zu fragen. Beim anschliessenden Einschwenken auf die Hauptstrasse übersehen wir wegen der blendenden Abendsonne ein zu tief hängendes Kabel und schon haben wir wieder eine Bescherung. Wir parkieren in der nächsten Seitenstrasse, um uns den Schaden anzusehen. Es ist ein richtiger Kabelsalat, den ich da angerichtet habe, denn dieses liegt nun quer über die Hauptstrasse und hängt über einer Nebenstrasse so tief, dass auch der Pkw-Verkehr nicht mehr passieren kann. Ich habe nun alle Hände voll zu tun mit Verkehr regeln, einen Kleinlaster, der sich bereits im Kabel verfangen hat, zu befreien und die rund 40 Meter Kabel aufzurollen, damit kein weiterer Schaden entsteht. Zudem ist die Polizei inzwischen eingetroffen und auch der Direktbetroffene, der Besitzer eines Internetcafes und Telefondienstanbieters liegt mir in den Ohren. Das Wochenende steht bevor und zudem ist kurz vor Weihnachten für ihn Hochsaison. Er klagt, dass er vor Montag keinen organisieren könne, der das repariert und rechnet mir vor, wie hoch sein Geschäftsausfall für das ganze Wochenende ist. Inzwischen diskutiert Lucia mit der Polizei, die auf das Fahrverbot für Schwerverkehr hinweist. Natürlich weiss ich, dass ich dieses missachtet habe, trotzdem sollten aber Kabel nicht zu tief hängen. Die beiden Polizisten sind auch hier sehr fair und beschliessen, dass wir die Angelegenheit mit dem Betroffenen selber regeln sollen. Dieser, ein recht aufgestellter, lockerer Typ mit gutem Englisch nennt uns 300 US$ als Entschädigung. Ich halte entgegen, dass er schliesslich keine Personalkosten (sein Mitarbeiter hat sich bereits freudestrahlend verabschiedet) und sonstigen Aufwendungen habe und sich zudem ein lockeres Weekend machen könne. Schlussendlich ziehen wir uns mit einem Kompromiss von 150 US$ aus der Affäre und ziehen trotz dieses kleinen Malheurs guten Mutes weiter.

Am Montag, zurück in Santiago, kommen die benötigten Teile tatsächlich an und der Service kann unverzüglich durchgeführt werden. Am Dienstag 22. Dezember, nachdem alles Administrative erledigt ist, fahren wir los. Wir wollten von Anfang an nicht in Santiago, sondern in Mendoza in Argentinien Weihnachten feiern (siehe Fotos), das wir anderntags auch tatsächlich erreichen. In Mendoza steht dann nach Weihnachten eine schon länger geplante Aktion an, die wir aber aus Zeitgründen und technischen Möglichkeiten immer wieder verschoben haben – den Versand einer eigene Postkarte, die aus jahreszeitlichen Gründen gleich zu unserer offiziellen Neujahrkarte wird. Nun befinden wir uns in einer modernen Stadt und müssen aber trotzdem fast einen halben Tag herumrennen, nur schon um die selbstklebenden A4-Bögen zu finden, die wir als Rückseite für die Karten benötigen und damit beginnt auch schon die lange Geschichte. Voller Freude lege ich die Bögen in unseren Drucker ein, der nun endlich seine Daseinsberechtigung unter Beweis stellen kann. Aber die Freude währt nicht lange, denn die Tinte will und will auf dem speziellen Papier nicht trocknen und schmiert auch noch nach aufwendigem Trockenföhnen oder stundenlangem trocknen an der Sonne. Also wieder rein ins Taxi und runter zur Stadt in einen Druckershop, der Laserdrucker hat. Natürlich berücksichtigen wir die Siestazeiten zu wenig und wieder ist ein halber Tag vorüber, bis wir einigermassen brauchbare Etiketten haben. Die schneide ich nun, es sind über hundert an der Zahl, mit dem Japanmesser auf Postkartenformat zu. Parallel dazu haben wir in einem Fotoshop ein Muster für die Karte drucken lassen. Das Ergebnis der Serie von 120 Stück aber erschlägt uns dann fast. Die vom Originalbild und auch vom Muster her schönen und kräftigen Farben sind weg und über dem ganzen Bild hängt ein blasser Grauschleier. Ich bin nicht bereit, die Fotos so zu akzeptieren und weise diese zurück. Für einen angemessenen Aufpreis werden nun die Fotos auf einer Einzelbildmaschine von Kodak nochmals produziert und diesmal sind wir mit dem Resultat zufrieden. Natürlich vergeht auch für diese Aktion wieder ein halber Tag und geärgert hat es auch. Auf der Post kaufen wir, um die Karten noch etwas stylischer zu gestalten, extra schöne Sondermarken mit Sujets von Ferrari. Dann folgen zwei Tage mit Schreiben. Diese Arbeit können wir zum Glück unter Fünf aufteilen, sodass es für jeden erträglich bleibt. Trotzdem bleibt der Bärenanteil an mir hängen und ich habe die Angewohnheit, mit sehr kleiner Schrift eine Unmenge Text auf Karten zu kritzeln. Das geht ganz schön in die Finger! Nachdem wir die beschriebenen Etiketten auf die Rückseite der Fotos aufgezogen haben und die Marken alle fein säuberlich aufgeklebt sind, schauen wir alle stolz auf den beachtlichen Stapel und sind mit dem Resultat durchwegs zufrieden. Zudem freuen wir uns, Freunde und Familie zuhause mit einer selber kreierten Neujahrskarte und unserem Konterfei darauf, überraschen zu können. Mit Genugtuung geben wir die über hundert Karten in zwei Etappen bei der Post ab und meinen noch zueinander, dass die argentinische Post ja hoffentlich seriös arbeitet. Nicht wie in Indien oder andern Ländern, wo nicht gestempelte Marken wieder abgelöst und weiterverkauft werden. Indem ich all dies, so banal es eigentlich ist, erzähle, möchte ich unsere riesengrosse Wut und den Frust verständlich machen, der uns später befällt, als es langsam zur Tatsache wird, dass ein Grossteil der Karten auch nach drei Monaten noch nicht beim Empfänger angekommen ist und vermutlich auch nie mehr ankommen wird. Irgendein fieser Schweinehund  (sorry, für diesen unflätigen Ausdruck) hat sich vermutlich bei der Post in Mendoza an unseren Karten vergriffen und sich auf miese Art bereichert.

Trotzdem wird uns Mendoza mit seinen durch grosse, üppig grüne Bäume überschatteten Strassen und Trottoire in guter Erinnerung bleiben. All diese Alleen sind es, die Mendoza sehr lebenswert machen und die Stadt gegen die grosse Hitze der sie umgebenden Halbwüste schützt. Das sehr trockene, aber heisse Klima, wir können jeden Abend mit Shorts und T-Shirt bis um Mitternacht draussen sitzen, geniessen wir sehr. In den heisseren Regionen Argentiniens gehen die Menschen erst nach draussen und werden so richtig aktiv, wenn in unseren Breitengraden die Vorhänge gezogen werden und man sich langsam für die Horizontale bereit macht. Mit aktiv meine ich nicht Sport in unserem Sinne, sondern die wahren Marathons am Asado (Grill), in dem die Argentinier echte Weltmeister sind. Dass für eine solche „Grilleten“ vom Säugling bis zur Urgrossmutter alle in den Karren gepackt werden, ist fast selbstverständlich und so verwundert es uns auch nicht, dass es bei uns auf dem Camping- und Grillplatz nachts um elf noch hoch her geht und es rundum brutzelt und raucht. Eher erstaunt sind wir, dass sogar am Morgen um ein Uhr noch dreijährige Knirpse mit ihren Vätern dem runden Leder nachrennen. Ja – mit Argentinien und auch Chile sind wir in einen anderen Kulturkreis eingezogen. Das Reisen hier ist plötzlich viel lockerer und unbeschwerter. Auf einmal ist es vorbei, das leichte Knistern von Abenteuer und auch der Hauch von Exotik fehlt. Zudem fehlen die wunderschönen, traditionellen Kleider der Indigenas, die in Peru und Bolivien so herrliche Farbakzente gesetzt haben. Sehr vieles im täglichen Leben mutet hier sehr europäisch an.

Mendoza liegt mitten in einem riesigen Weingebiet, das Dank einem aufwendigen Bewässerungssystem in einer Region, die einst Wüste gewesen ist, mehr als zwei Drittel des argentinischen Weins produziert. Und so ist es nahe liegend, dass auch wir einige der berühmtesten Weingüter besuchen und deren Erzeugnisse degustieren. Dabei bekommen wir aber neben einigen sehr guten Tropfen vor allem architektonische Spitzenleistungen zu Gesicht  (siehe Fotos) und staunen ob hervorragendem Marketing. Die Mittelklasseweine allerdings, die in den Supermärkten in einer riesigen Auswahl im Bereich von 10 bis 20 Franken angeboten werden, entlocken uns keinen Lobgesang. Dafür komme ich ins Schwärmen, wenn es um das hervorragende Preis/Leistungsverhältnis im gleichen Frankenbereich bei chilenischen Weinen geht, wo bereits ab acht Franken echter Gaumengenuss aufkommt. 

Durch bilderbuchmässige Prärie geht die Fahrt auf der RN 40 weiter Richtung Süden nach Malergüe, dann durch eine faszinierende Vulkanlandschaft, später durch abgelegene Gegenden mit vielen stolzen, hoch zu Ross ihre Herden treibenden Gauchos, bis wir schliesslich im Seengebiet nördlich von Bariloche angelangen. Hier wird die Landschaft wieder üppig grün und erinnert uns mit seinen Seen, den frisch verschneiten Berggipfeln und vor allem dem kalt/regnerischen Wetter auf unangenehme Art an die Heimat. Bariloche selber ist eine sehr touristische Stadt und viele Gebäude ähneln mit ihren Steinfassaden und Stilelementen in Holz alpenländischer Architektur. Der Hauptgrund aber, weshalb wir nach Bariloche gekommen sind, ist Domini, der Götti von Gillian. Er ist vor rund sieben Jahren hierher ausgewandert. Wir geniessen mit ihm und seiner Freundin einen schönen Abend bei einem herrlichen Asado und feiern das Wiedersehen. 

Nachdem wir in Bariloche noch unseren dritten Plattfuss geflickt haben, ziehen wir in grossen Etappen durch endlose, öde und windige patagonische Steppe weiter Richtung Süden nach Feuerland. Nur die etwas abseits der Route liegenden und über 70 Millionen Jahre alten versteinerten Bäume (siehe Bilder) und ein Küstennationalpark vermögen unseren Vorwärtsdrang kurz zu stoppen. Dann setzen wir mit der Fähre durch die stürmische Magellan-Strasse nach Feuerland oder schöner „Tierra del Fuego“, über. Feuerland begrüsst uns, wie könnte es anders sein, mit demselben starken Westwind, der uns bereits durch halb Patagonien begleitet hat und der jeden entgegenkommenden Motorradfahrer zu solchen Schräglagen zwingt, dass es aussieht, als falle er gleich hin. Im Norden wird Feuerland zuerst geprägt von flacher Steppe, die weit verstreute Schafherden ernährt und wird weiter gegen Süden hügelig, wo es von  Südbuchenwäldern mit extrem viel Todholz durchsetzt ist. Ganz im Süden wechselt die Landschaft zu einer wild/romantischen, von Flüssen, Seen und vielen Mooren durchsetzten  Bergwelt, bis man schlussendlich wieder an die Küste gelangt, wo recht windgeschützt Ushuaia liegt, die südlichste Stadt der Welt oder „Fin del Mundo“ wie die Einheimischen sagen. Die Stadt mit ihren rund 60'000 Einwohner lebt zum grössten Teil vom allgegenwärtigen Tourismus. Wenn es nicht gerade die Heerscharen von Kreuzfahrttouristen eines der regelmässig anlegenden Luxusliners sind, die durch die Avenida San Martin und ihre vielen Shops strömen, dann sind es sicher Hundertschaften inländischer Bustouristen, Backpacker oder sonstiger Reisender. Ushuaia ist in den letzten 30 Jahren sprunghaft gewachsen und Raumplanung oder so etwas wie ein Baugesetz scheinen inexistent. Das Ortsbild zeichnet sich durch eine absolut chaotische Mixtur verschiedenster Stilrichtungen oder oft einfach nur wirrer Formgebungen aus. Trotzdem aber hat Ushuaia seinen eigenen Charme, der durchaus auf uns wirkt. 

Für uns ist Ushuaia aber vor allem Ausgangspunkt für einen absoluten Höhepunkt unserer Reise, von dessen Möglichkeiten wir bis vor einigen Wochen gar nicht wussten. Den Floh ins Ohr haben mir andere Reisende, die wir im Norden Chiles getroffen haben, gesetzt – einen Trip in die Antarktis. Wir klappern alle wichtigen Agenturen in der Stadt nach deren diesbezüglichen Angeboten ab. Ein solcher Trip für die ganze Familie kostet, in Europa gebucht, eine Unsumme Geld und auch hier, obwohl dank „last Minute“ Angeboten erschwinglich, summiert es sich halt doch bei fünf Personen. Nach langen Diskussionen und abwägen über „Kosten/Nutzen“ entschliessen wir uns für einen 10-tägigen Trip zur antarktischen Halbinsel.

Zwei Tage später, nachdem wir mit unserer Hausbank die Bezahlung des Trips geregelt und alles gepackt haben, besteigen wir die Antarctic Dream, ein chilenisches Schiff für knapp 80 Passagiere. Auf dem Schiff sind 13 Nationen und von jungen Backpackern über Leute aus allerlei Berufssparten bis zu Rentnern alles vertreten. Am ersten Abend bei der Fahrt durch den Beagle Kanal ist die See noch sehr ruhig und alle können das köstliche Begrüssungs-Dinner geniessen. In der Nacht erreichen wir aber das offene Meer, die für ihre Wildheit berüchtigte Drake Passage und am nächsten Morgen stehen wir bereits mit sehr mulmigem Gefühl im Magen auf. Alexandra hat sich schon in der Nacht das Abendessen in mehreren Schüben „nochmals durch den Kopf gehen lassen“ und bleibt im Bett liegen. Leonie und Gillian wollen lieber auch im Bett bleiben und so begeben sich Lucia und ich alleine zu Tisch. Der Speisesaal ist halb leer, was Bände spricht und auch wir verweilen nur kurz, bevor wir uns wieder flach legen müssen. Am Mittagstisch ist unsere „hartgesottene“ Gillian die einzige, die uns vertritt und sich zu wildfremden Leuten an den Tisch gesellt und munter ihr Englisch übt. Ganze zwei Tage soll sie dauern, die Überquerung der Drake Passage, bis wir wieder in ruhigere Gewässer gelangen. Das wollen wir allerdings, inzwischen haben von uns alle ausser Gillian vor der Schüssel gekniet, nicht ohne Medizin durchstehen. Da die mitgebrachte Homöopathie nicht die erwünschte Wirkung zeigt, greifen wir dankbar zu härteren Mitteln. So können wir wenigstens einigermassen am Leben an Bord teilnehmen und staunen, mit welch artistischer Leistung die Servierboys die mit acht Tellern beladenen Tabletts auf den Schultern den Tischen entlang, das Gewicht mal nach vorn und dann wieder nach hinten verlagernd, balancieren. Das Schiff stampft dermassen, dass auf den Tischen diverse Gläser kippen oder zu Boden gehen. Auch hinter der Bar klirrt es und aus der Küche hören wir ganze Stapel von Geschirr zu Boden krachen. Wenn Scherben wirklich Glück bringen sollten, dann reichen die von heute Abend für alle Anwesenden für Jahre aus. Die Mitteilung des Kapitäns, dass der momentane Seegang für die Drake Passage normal sei und bei Sturm ganz andere Verhältnisse herrschten, lässt ein lautes Raunen durch die Passagiere gehen. Niemand hier ist wirklich seefest und fast alle schlucken Tabletten oder haben ein Pflaster am Ohr und sind, diese Nebenwirkungen nimmt man gern in Kauf, recht schläfrig. Was dann aber nach dem Erreichen der ersten Inseln und bei den diversen Landgängen folgt, lässt die ganze Sterbensübelkeit schnell vergessen. Was wir sehen und erleben, möchte ich eigentlich gar nicht versuchen in geeignete Worte zu fassen, es ist einfach nur wunderschön. Unser Staunen ist vielleicht zu vergleichen mit demjenigen eines Dreijährigen angesichts des Kerzen erhellten Weihnachtbaumes. Auch Bilder, vor allem solch kleine wie auf unserer Homepage, vermögen nur ansatzweise zu vermitteln, welche unendliche Ruhe aber auch Kraft von dieser, oft in mystisches Licht getauchten Landschaft ausgeht und welche Vielfalt sich die Natur trotz den herrschenden klimatischen Verhältnissen hier unten erhalten hat (siehe Bilder). Nach wiederum zwei rauen Tagen durch die Drake Passage stehen wir nach insgesamt zehn Tagen – wie aus einem wunderschönen und unwirklichen Traum erwacht – wieder auf dem Hafenpier von Ushuaia und noch ganze zwei Tage soll es dauern, bis sich der letzte Rest Seegang aus unseren Gleichgewichtsorganen verflüchtigt hat. Was aber felsenfest in unseren Köpfen sitzt, sind fantastische Bilder, die uns niemand nehmen kann! Es ist sooo schön gewesen, dass mich jetzt, wo ich diese Zeilen niederschreibe, eine Welle der Sentimentalität erfasst und der Bildschirm vor lauter Augenwasser vor mir verschwimmt…

Ende 1. Teil